Jede M&A Transaktion erzählt eine eigene Firmengeschichte, gelegentlich vermischt mit Zeitgeschichte und Familienhistorie. Aus Käufersicht gibt die historische Erzählung einen Einblick in das Selbstverständnis, die Marke und die Reputation des Unternehmens. Aus diesem Grund ist der Käufer niemals nur an den Zahlen des Unternehmens, sondern immer auch an der Firmengeschichte interessiert.
Firmenstrategie und Erfolge werden in Zahlen als dem messbaren Teil der Geschichte verdichtet. Bei der Firmennachfolge muss sich der neue Inhaber überlegen, ob er selbst zukünftig die Firmenhistorie kontinuierlich weiterschreiben oder das Firmenprofil radikal ändern möchte.
Von Hippies und Heuschrecken
Auch das Jahr 2021 hielt eine solche besondere Firmengeschichte bereit, die nach einer Übernahme vom neuen Eigentümer weitergeschrieben wird. Die Geschichte beginnt im 18. Jahrhundert in einer unscheinbaren Schusterwerkstatt. Das kirchliche Archiv der Stadt Langen-Bergheim erwähnt im Jahr 1774 in Hessen einen Herrn Johann Adam Birkenstock als Schuhmacher und Untertanen. Fast Forward rund 250 Jahre später: die objektiv nicht gerade eleganten Hippie-Sandalen der Marke Birkenstock, die manchen Fuß der Anti-AKW Bewegung zierten, werden von Film und Musik-Stars getragen – prominent platzierte bei der Oscar Verleihung und in Kollaboration entworfen vom italienischen Modedesigner Valentino Garaveni. Am 23. April 2021 genehmigt die EU-Kommission schließlich die Übernahme des Unternehmens durch die französisch-amerikanische Private Equity Firma L Catterton.
Der Großaktionär von LVMH, Bernard Arnault, dessen Familien-Holding mit dem amerikanischen Private Equity Haus Catterton 2016 fusionierte, brachte den Buchstaben „L“ in den Namen der Beteiligungsgesellschaft ein. Als einziger Europäer auf den vorderen Plätzen der berühmten Forbes List hat Arnault schon einige Male unter Beweis gestellt, dass er Marken dauerhaft erfolgreich führen kann. Die Chancen stehen gut, dass dies mit dem deutschen Traditionsunternehmen ebenso gelingt wie in der Vergangenheit bei anderen Marken. Die Modewelt ist bekanntermaßen ausgefallen, aber auch erratisch: Öko-Gesundheits-Schlappen, die in der aktuellen Werbe- bzw. Infokampagne mit „ugly for a reason“ (aus gutem Grund hässlich) beworben werden, gehörten in den 80er Jahren eher zur counter culture Alternative statt Mainstream. Vier Jahrzehnte später vervollständigen sie die haute couture, den Glamour und Chic von Louis Vuitton, Moët & Chandon und Bulgari.
In der schnelllebigen Modebranche liegt der Schlüssel zum Erfolg erkennbar in einer behutsamen, kontinuierlichen Markenführung, die das Produkt modern erscheinen lässt und es zugleich zeitlos macht. Bernard Arnault hat in einem Interview einmal darauf hingewiesen, dass für ihn das Erlernen von Geduld zum Schlüssel des Erfolges im Geschäftsleben wurde: „Vielleicht bin ich selbst nicht sehr geduldig“, erklärte er. „Aber ich glaube, was ich […] gelernt habe, ist, in der Lage zu sein zu warten und etwas zu erlangen, wenn die Zeit reif ist.“
Nachdem das Private-Equity-Haus CVC Capital Partners bereits ein Auge auf Birkenstock geworfen hatte, schien die Zeit für einen Zukauf der Traditionsmarke gekommen zu sein.
Unternehmensbewertung mit Spitzen-Multiples
Verkauft wurde das Unternehmen letztlich für den stolzen Preis von 4 Mrd. EUR, was einem Umsatz-Multiple von 6,2 entspricht. Zum Vergleich: der durchschnittliche Umsatzmultiple des S&P 500 schwankte in den letzten 20 Jahren zwischen 0,8 und 3 und lag im Mittel über den Gesamtzeitraum bei 1,7. Basierend auf dem 2019er-EBIT von 161 Millionen EUR entspricht dies einem EBIT Multiple von 34,5.
In Bezug auf den jährlichen Schuhabsatz erscheint eine Ablöse von 168 EUR pro Sandalenpaar ambitioniert, ebenso in Relation zur Anzahl der Beschäftigten – fast eine Mio. EUR pro Mitarbeiter. Personalvermittler können von solchen Ablösen in aller Regel nur träumen. Dennoch ist die Summe, welche die Investoren für Birkenstock bezahlt haben, nicht ganz aus der Luft gegriffen. Die Kult-Marke Dr. Martens – als Punk-Accessoire seit 2021 turbokapitalistisch an der Börse vertreten – weist vergleichbare Umsätze aus wie der Hersteller aus Linz am Rhein. Die Briten mit den deutschen Wurzeln werden derzeit zu einem ähnlichen Preis an der LSE gehandelt. Modischer Komfort, Haltbarkeit und Homeoffice heißt der Dreiklang, der den Preis von Birkenstock antreibt – angesichts hoher Energiepreise und Ressourcenknappheit ein durchaus nachvollziehbarer Trend.
Zusammenfassung
Kontinuierliche Markenführung ist in vielen Fällen der Schlüssel zur Schaffung von bleibendem Unternehmenswert. Der Fall des Familienunternehmens Birkenstock illustriert, wie eine angestaubte Marke mit Erfolg weiterentwickelt werden kann.